Roland Tuchschmid
Gemeindeversammlung warf weniger Wellen als erwartet.
Anita Lebeda, Pflegefachfrau HF, Demenz Beratungsstelle Diessenhofen, welcher 16 Gemeinden angehören. Bild: Werner Lenzin
Am gestrigen Donnerstag, den 21. September, war der Weltalzheimertag. Aus diesem Anlass informierte sich die terzStiftung, die den Auftrag vom Kanton Thurgau erhalten hat eine dreijährige Sensibilisierungskampagne über Demenz durchzuführen, über die Bedeutung der aufsuchenden Demenzberatung in unserem Kanton. Im Auftrag der «Clienia» leitet Anita Lebeda, Pflegefachfrau HF, die Demenz Beratungsstelle Diessenhofen, welcher 16 Gemeinden angehören. Insgesamt gibt es im ganzen Kanton im Rahmen des Demenzkonzepts Thurgau flächendeckend sechs Beratungsstellen. Diese sind Diessenhofen, Frauenfeld, Weinfelden, Kreuzlingen, Sirnach und Arbon, die mit der Clienia Littenheid AG, der Spital Thurgau AG und der Spitex Arbon unterschiedliche Arbeitgeber haben. Die Verantwortlichen aller Beratungsstellen verstehen sich als Team mit denselben Dienstleistungen und einem regelmässigen Austausch.
Frau Lebeda, was bedeutet aufsuchende Demenzberatung? Was ist unter «auf-suchend» zu verstehen? Gehen Sie auch nach Hause zu den Betroffenen?
Aufsuchend darf wortwörtlich so verstanden werden. Jede der sechs Beratungsstellen verfügt über ein Büro, wo Angehörige und Betroffene herzlich willkommen sind. Der grösste Teil unserer Beratungstätigkeit findet jedoch bei den Personen zu Hause statt. Dies hat den Vorteil, dass die oftmals älteren Menschen den Weg nicht auf sich nehmen müssen und für uns als Beraterinnen ist es so möglich, die aktuelle Situation im heimischen Umfeld einzuschätzen.
Was sind die Leistungen, die eine betroffene Person oder auch die Angehörigen erwarten können?
Die Betroffenen und ihre Angehörigen können erwarten, dass ich ihnen unvoreingenommen zuhöre, sie im Rahmen einer persönlichen und individuellen Beratung in der Alltagsbewältigung stärke, Ihnen Wissen über die Krankheit Demenz vermittle und sie durch den Dschungel der vielen unterschiedlichen Angebote im Gesundheitssystem führe und begleite, je nachdem, was es gerade braucht.
Wichtig ist die Klärung des aktuellen Bedarfes und das Anbieten, evtl. Aufgleisen entsprechender Unterstützungsmöglichkeiten wie Spitex, Entlastungsdienste, Kurse, Therapien, Tagesangebote und viele andere. Ein besonderes Augenmerk habe ich bereits beim 1. ersten Termin auf das Vorhandensein wichtiger Vorsorgepapiere, welche ab einem gewissen Grad der Demenz nicht mehr erstellt werden können. Es geht darum, mit den Betroffenen und ihrem Umfeld in die Zukunft zu blicken, sie bei Bedarf dabei zu unterstützen und finanzielle Ansprüche im Bereich der Hilflosenentschädigung geltend zu machen.
Im Gegensatz zu anderen involvierten Diensten sehe ich mich auch als Koordinatorin mit der Übersicht, welche Dienstleister bereits im Boot sind, welche hilfreich sein könnten und wo noch Bedarf besteht.
Wie läuft die Beratung ab?
Damit es zu einer Beratung kommen kann, erhalte ich meist eine Zuweisung durch den Hausarzt, den Memorykliniken, Spitex, Pro Senectute oder andere Dienste. Diese Zuweisung erfolgt im Einverständnis der Betroffenen.
Bei meiner Kontaktaufnahme vereinbaren wir einen Termin. Bei diesem ersten Termin versuche ich einen Überblick über die aktuelle Lebens- und Wohnsituation zu gewinnen, über das bestehende familiäre und ausserfamiliäre Helfernetz, Vorsorgepapiere, Unterstützungsbedarf, Wissen zur Krankheit, Ängste. Wir besprechen das weitere Vorgehen, vereinbaren einen Folgetermin, oder, sie melden sich wieder bei Bedarf.
Nicht selten erhalte ich eine Anfrage eines Angehörigen per Mail oder per Telefon, ohne fachliche Zuweisung. Dies ist auch ein guter Weg. Es braucht keine vorgängige Demenzabklärung, um eine Beratung erhalten zu können. Wichtig ist es zu wissen, dass eine Beratung immer freiwillig ist, wir an die Schweigepflicht gebunden sind und Betroffene und ihr Umfeld selbst bestimmen was und wie es weitergeht.
Was sind die brennenden Themen der Beratung?
Für Betroffene und deren Angehörige stellt sich die Frage, wie es gesundheitlich, familiär, finanziell, allenfalls beruflich weitergeht. Die meisten Betroffenen wünschen sich, möglichst lange in ihrem gewohnten Umfeld zu bleiben, die meisten Angehörigen möchten dies ermöglichen. Nach der Demenzdiagnose stellen sich oft Fragen zur Krankheit selbst und wie man damit in der Familie umgehen kann.
Betreuende Angehörige sind in der Regel Partner/ Partnerinnen, die oft selbst nicht mehr ganz jung sind, oder Kinder, die beruflich engagiert und noch für ihre eigene Familie da sind. Besonders belastend wird es bei Jungbetroffenen, die jünger als 65 Jahre selbst noch im Berufsleben stehen. Grosse Themen sind deshalb die Entlastung und die Stärkung im Akzeptieren der eigenen Grenzen, auch wenn man mehr geben möchte.
Kommen die Betroffenen eher zu spät oder eventuell auch zu früh? Was sind die Vorteile einer «frühen» Beratung?
Das ist sehr unterschiedlich. Manchmal werde ich erst kontaktiert, wenn es bereits brennt und das Kartenhaus vor dem Zusammenbrechen ist. Das ist nicht ideal. Wichtig ist zu erwähnen, dass wir keinen Notfalldienst anbieten. Andere wiederum sind sehr proaktiv unterwegs. Aus meiner Sicht ist es ein grosser Vorteil, wenn die Betroffenen sich möglichst früh im Krankheitsverlauf melden. So ist es möglich eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen und Schritt für Schritt gemeinsam zu planen und zu gehen, man hat Zeit.
Führen Sie auch eine Demenzabklärung durch?
Nein, ich führe keine Demenzabklärung durch. Eine Vorabklärung gehört in die Hände des Hausarztes, eine umfangreiche Demenzabklärung gehört in die Hände der Memorykliniken. Treffe ich bei einer Beratung jedoch auf Betroffene, die bisher keine Abklärung hatten, kann ich einschätzen, ob eine Demenz ein Thema sein könnte und entsprechend weitere Schritte empfehlen.
Wie hoch sind die Kosten der Beratung? Übernimmt evtl. die Krankenkasse die Kosten?
Wir verrechnen via Tarmed, wo uns als Pflegefachpersonen einzelne Positionen zur Verfügung stehen. Wie hoch die Kosten einer Beratung sind, hängt von der Dauer der Beratung ab. Diese Kosten werden durch die Grundversicherung der Krankenkasse übernommen, abzüglich Franchise. Darüber hinaus anfallende Kosten werden durch einen Zuschuss des Kantons abgedeckt, der unser Angebot, im Rahmen des kantonalen Massnahmenplanes Demenz, fördert.
Wie sind die (finanziellen) Unterstützungsmöglichkeiten für die Betroffenen und deren Angehörige im ambulanten Bereich? (Hilflosenentschädigung, IV, Spitex, 24h-Betreuung, … etc.)
Die IV ist für junge von Demenz betroffene Menschen, also sich noch im Arbeitsprozess befindende Menschen eine wichtige Ansprechpartnerin. Die Pro Infirmis ist für diese Altersgruppe mit den speziellen Fragestellungen in finanzieller Sicht und dem Bereich Sozialberatung eine kompetente Anlaufstelle.
Für Menschen über 65 Jahre bietet die Pro Senectute ein breites Angebot an Sozial- und finanzieller Beratung an und noch vieles mehr. Die Pro Senectute sind die Profis bei Fragen zur Finanzierbarkeit eines Heimplatzes, beim Erstellen eines Antrages für die EL.
Sie erwähnen Spitex und 24- Stunden-Betreuung. Nun, Pflege und Betreuung sind nicht dasselbe. Die Pflegeleistungen der Spitex, welche diese gemäss einem Leistungskatalog erbringt, werden über den Spitex-Tarif abgerechnet. Mit jemanden spazieren gehen, spielen, essen, Alltagsstruktur geben ist keine Pflege, sondern Betreuung. Gerade bei von Demenz betroffenen Menschen ist der Betreuungsbedarf gross und muss im Grundsatz persönlich finanziert werden.
Damit ein Teil der Betreuungskosten finanziert werden kann, ist es wichtig, die möglichen finanziellen Unterstützungen zu kennen und zu beantragen. Wichtig im Bereich Demenz ist sicher die Hilflosenentschädigung, Betreuungsgutschriften der AHV für unter 65-jährige Betreuende.
Was sind Ihre persönlichen Empfehlungen an Menschen mit einer Demenz-Diagnose und deren Angehörige?
Eine Demenz-Diagnose ist ein Schock und verändert nicht nur das Leben der Betroffenen selbst, sondern des ganzen Umfeldes. Das Leben steht Kopf und scheint zu entgleiten. War man bisher nicht mit dem Thema konfrontiert, kennt man sich in der Regel nicht aus, hat viele Fragen, vielleicht Zweifel, Wut, Ängste, Scham, fühlt sich unverstanden.
Wagen Sie den Schritt, sich beraten zu lassen. Eine Beratung ist unverbindlich und es wird nichts unternommen, das Sie nicht selbst wollen. Es wäre schade, wenn man vielleicht nach Jahren der Belastung feststellen würde, dass man hätte Unterstützung haben können.
Für Betroffene ist es manchmal schwierig sich im Dschungel der Beratungsangebote zurechtzufinden. Wie sichern Sie eine gute Zusammenarbeit mit anderen Organisationen wie z.B. Alzheimer Thurgau, Pro Senectute, Memory-Clinic, Hausärzte …?
Das Netzwerk der verschiedenen Fachbereiche ist enorm wichtig, denn allein können wir sehr wenig tun. Der Einsatz des entsprechenden Fachbereiches am richtigen Ort ist das Ziel. So ist es für jede Beraterin essenziell, diese Dienste zu kennen und guten Kontakt zu pflegen. An Fachanlässen stärken wir aktiv unser Netzwerk. Die längerfristige Betreuung einer von Demenz betroffenen Person ist in der Regel nur interdisziplinär machbar. So ist es auch immer wieder wichtig, alle Betroffenen an einen „runden“ Tisch zu bringen, um die Situation und das weitere Vorgehen zu besprechen.
Interview: Werner Lenzin
Lade Fotos..